Trauerverarbeitung und Wege im Umgang mit der Trauer
„Es gibt viele Wege, mit der eigenen Trauer oder der Trauer anderer Menschen zu leben. Wichtig ist, dass man MIT ihr lebt statt gegen sie oder um sie herum. Trauer ist eine anstrengende aber heilsame Erfahrung“ sagt Chris Paul, Trauerbegleiterin und Vorsitzende des TrauerInstitut Deutschland e.V.
In dem Trauerseminar ‚Keine Angst vor fremden Tränen‘ von Chris Paul, an dem ich Anfang des Jahres 2016 teilnahm, forderte Frau Paul uns auf, Wörter zu nennen, die wir mit Trauer in Verbindung bringen. Chris Paul notierte alle auf einem großen Plakat: Schmerz, Hilflosigkeit, Verzweiflung, Überforderung, Erstarrtsein, Dankbarkeit, Sinnlosigkeit, Erschöpfung, Redebedarf, Liebe, Wut, Isolation, Scham, Zusammenhalt , Taubheit, Schuld, Angst, Sehnsucht, Leere, Neid, Rastlosigkeit, Vertrauensverlust.
Erstaunlich wie viele unterschiedliche Bedeutungen jeder einzelne von uns mit Trauer verband.
Wir waren auch nicht irgendein munter zusammen gewürfelter Haufen Leute, die sich zufällig in Bonn an einem schönen Wochenende trafen, sondern alles Personen, die direkt oder indirekt mit Tod und Sterben zu tun hatten. Einige Frauen unter uns arbeiteten im Hospiz oder Krankenhaus, ein Mann war Trauerredner, ein anderer Trauernder. Eine junge Frau arbeitete als Vertrauens-Lehrerin an einer großen Schule in Freiburg für Jugendliche mit persönlichen Problemen. Wir alle wollten uns weiterbilden im Umgang mit Trauernden und auch mit der eigenen Trauerverarbeitung, denn jeder von uns hatte die Trauer schon am eigenen Leib erlebt.
Frau Paul thematisierte in ihrem Seminar die Sprach- und Hilflosigkeit, die viele Menschen gegenüber Trauernden empfinden. Sie erklärte, dass diese Menschen Angst hätten, etwas falsch zu machen oder nicht die richtigen Worte zu finden, und deshalb aus Unsicherheit lieber die Straßenseite wechseln würden. Doch dieses Verhalten kann für den Trauernden sehr verletzend sein.
Meine eigene Erfahrung zu solch einer Situation war Folgende:
Heute traute ich mich, nach dem Verlust meiner kleinen Tochter vor die Tür. Die Augen waren nicht ganz so geschwollen und ich musste einkaufen. Als ich die Haustür aufmachte, ging nebenan die Tür der Nachbarin ganz schnell zu – meine Lieblingsnachbarin! Wie konnte das sein? Gerne hätte ich kurz mit ihr geredet. Aber sie wollte das offensichtlich nicht. Das tat weh! Beim zweiten Mal, als es passierte, kam ich mir richtig aussätzig vor.
Faktoren, die die Trauerverarbeitung beeinflussen
Wie vielfältig die Reaktionen auf einen Verlust sein können, machte uns Chris Paul deutlich und zeigte, welche Faktoren die Trauerverarbeitung beeinflussen. Das Anbieten von Unterstützung kann sehr hilfreich sein. Wir besprachen ausführlich die verschiedensten Möglichkeiten, die dafür in Frage kommen und lernten dabei, die eigene Trauer besser zu verstehen und was die Trauer eines anderen in einem selbst auslöst.
Den Schmerz, die Verzweiflung und vielleicht auch die Wut des anderen sollte man ernst nehmen, aber nicht denken, dass man sie nachempfinden müsse. Durch ehrliches Mitgefühl kann man die Gefühle des Gegenübers erahnen und sie aushalten. Denn man befinde sich auf der sicheren Seite und kann es sich durchaus leisten, ein Stück seiner Sicherheit zur Verfügung zu stellen. Dazu braucht es oft nicht mehr als: dableiben und zuhören.
Wenn jemandem die Tränen kommen, darf man sich erlauben, auch selbst berührt zu sein und an Frau Pauls Leitspruch zu denken:
„Es ist nicht gefährlich Gefühle zu haben, und es ist auch nicht schädlich, sie zu zeigen.“ Allerdings sollte man darauf achten, Abstand zu wahren und mit der eigene Energie zu haushalten. Denn mit den eigenen Ängsten und der Überforderung ist niemandem geholfen.
Wichtig war es auch, zu erfahren, dass Trauer nie aufhört. Sie begleitet uns ein Leben lang, aber sie verändert sich.
Für meine jetzige Arbeit als Erinnerungsschneiderin empfand ich dieses Seminar als äußerst bereichernd, da ich oft durch meine kreative Trauerverarbeitung mit Trauernden in Kontakt komme.
Meine Art der Trauerverarbeitung – einen neuen Lebensweg finden, begleitet und beschützt von der eigenen Erinnerung.
Erinnerungen schenken dabei Kraft. Sie sind die Tankstelle auf dem Weg der Trauer, an dessen Ende vielleicht Trost im Sinne von Frieden gefunden werden kann. Dieser Trost ist aber aus der eigenen Trauer hervorgegangen, weil ich mich selbst damit beschäftigt habe und nicht, weil mich jemand getröstet hat.
„Trost ist das Ziel. Der Weg dahin führt über Geduld, Fürsorge, Zeit, Emotionen und Trösten.“
Sehr beeindruckt hat mich auch das Buch ‚Meine Trauer wird dich finden. Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit‘. Der Autor Roland Kachler ist selbst Psychotherapeut und hat Erfahrung in der Trauerbegleitung. Er empfahl seinen Klienten, wie die meiste einschlägige Literatur zum Thema Trauern, die gängige Methode vom Loslassen des Verstorbenen, bis sein 16-jähriger Sohn durch einen Unfall ums Leben kam. Das sogenannte Loslassen half ihm nicht seinen Schmerz zu überwinden. Er suchte nach einem neuen Weg der Trauerverarbeitung und fand diesen. Anstatt los-zu-lassen, zielt der Ansatz des Autors darauf, dass der Tote in einer anderen Weise bei den Lebenden bleiben kann. Diese Trauerverarbeitung wird als kreativer Prozess verstanden, der zu einer inneren Beziehung zum Verstorbenen führt. Der Verstorbene bleibt eine wichtige Person im Leben des Hinterbliebenen und Trauernde wissen sehr genau, dass die Liebe zu ihm jetzt eine neue Ausdrucksweise braucht. Dadurch rückt das Erinnern in den Fokus.
„Freundliche und schöne Bilder haben ebenso wie Bilder von helfenden Symbolen eine heilsame, tröstende und den Trauerschmerz lindernde Wirkung auf uns“, sagt Kachler, seiner Ansicht nach stärken diese inneren Bilder die Bindung zum Verstorbenen und bringen ihn uns näher. Die Beziehung zu ihm wird gefestigt und ist deshalb auch so wichtig und entscheidend im Trauerprozess. Erinnerungsstücke, können dabei ein Hilfsmittel sein, bekannte Erinnerungsbilder zu stärken oder vergessen geglaubte Erinnerungen wachzurufen.
„Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“
Eine eigenen kleine Geschichte dazu:
Wir, das waren meine Freundin Biggi und ich, schrieben uns abends kleine Zettel als wir eigentlich nicht mehr raus durften, ähnlich wie heute Whatsapp-Nachrichten, nur auf Papier und mit Stift. Wir waren ca. 12 Jahre alt und wohnten nebeneinander in einer Reihenhaussiedlung. Diese Zettelchen warfen wir dann in den Briefkasten, sie bei mir und ich bei ihr. Wir hatten viel Spaß daran und vertrieben uns abends die Zeit damit. Letztens fand ich einen ganzen Haufen davon in einer kleinen Schachtel.
Biggi starb plötzlich mit 16 Jahren.
Ich habe die Zettelchen nie weggeworfen, auch jetzt bei dem letzten Umzug kamen sie wieder mit. Als ich sie in den Händen hielt, auffaltete und darin las, war ich wieder 12.
Mein eigenes Motto lautet:
Ein Teil von dir, bleibt bei mir!
Mein nächster Blogbeitrag beschreibt die Erinnerungen an meinen verstorbenen Vater.