„Erinnerungen an verstorbenen Vater“, so oder so ähnlich sucht man sie in den Suchmaschinen des Internets.
Aber was, außer den Erinnerungen, die man im Herzen trägt, bleibt einem?
Meine Erinnerungen an meinen verstorbenen Vater möchte ich heute niederschreiben, es ist eine sehr persönliche Zusammenfassung, die zum Teil weh tut, aber mir auch ebenso eine besondere innere Ruhe und Wärme gibt. Es ist schön, so intensiv über ihn nachzudenken und ich fühle mich ihm sehr nah und verbunden.
Mein „Daddy“
Als einziges seiner vier Kinder (ich habe drei Brüder) nannte ich ihn „Daddy“. Es war meine Koseform für ihn, denn ich liebte ihn sehr. Daddy klang in meinen Ohren viel weicher und beschrieb ihn viel besser, da er nämlich ein sehr ruhiger und besonnener Mann war. Wir beide, wir verstanden uns gut und hatten eine wunderbare Vater-Tochter-Beziehung. Wir liebten den Wald mit seinen Tieren und die Natur sehr. Oft gingen wir spazieren oder wandern und er zeigte mir die heimischen Vögel, Tiere und Pflanzen.
In der Erinnerung an meinen Vater war er derjenige, der die Ruhe und Stille in der Natur genoß, er lauschte den Vögeln und entdeckte immer als erstes die Rehe, Eichhörnchen, Kaninchen und in den Bergen – in denen wir immer 3 Wochen unserer Ferien verbrachten – die Gemsen, Murmeltiere und Steinböcke. Jedes Piepen und Trällern erkannte er und nannte die Vogelarten. Einmal päppelte er ein fast verhungertes Rotkehlchen zu Hause auf. Dafür züchtete er extra im Keller Mehlwürmer, die wir dann an den Vogel verfütterten. Es war eine ganz schöne Erfahrung und als wir das Rotkehlchen im Frühjahr wohl genährt wieder freiließen, waren alle glücklich. Bäume, Pflanzen, Kräuter, Pilze – vieles lernte ich durch ihn. Haustiere hatten wir nicht, dazu fehlte der Platz, nur ein Aquarium mit bunten Fischen. Das war ein Hobby, meines Vaters. Wir zwei gingen manchmal dafür Wasserflöhe fangen im Schwerter Wald.
Daddy hatte eine kleine Werkstatt im Keller. Er baute hier vieles, er war gelernter Schreiner. Selbst unseren Wohnzimmertisch, der immer noch an Ort und Stelle steht, baute er. Von ihm bekam ich einmal eine Puppenstube zu Weihnachten, da war die Freude groß. Renovieren, tapezieren und meine Einrichtungswünsche für mein Kinderzimmer verwirklichte er ebenso und las mir meine kleinen Wünsche von den Augen ab. Daddy war mein Held!
Das Familieneinkommen bestritt er allein durch seinen Job als Kraftfahrer. Sparsamkeit wurde groß geschrieben. Wir lernten alle von ihm und in jedem von uns Kindern steckt ein kleiner bis sehr großer Handwerker.
Mein Vater war für mich der erste Upcycler, denn er machte aus allem etwas. Aus alten Autoreifen zum Beispiel, „zauberte“ er Pflanzschalen für den Vorgarten, das war damals der Hit in den 70er Jahren. Schon damals baute er aus alten Holzackergeräten eine Lampe, oder eben den besagten Couchtisch aus alten Eisenbahnbohlen. Es gab nichts, was er nicht reparieren konnte. Weggeworfen wurde nicht viel und so platzte der Keller oft aus allen Nähten. Es gab keine Schraube, die er nicht hatte und das Tolle war, dass er die, die er gerade brauchte, dann auch noch in seiner „Ordnung“ fand. Er ließ sich für jedes Problem eine Lösung einfallen.
Ich liebte sein handwerkliches Geschick und seine Kreativität, aus dem was er hatte, etwas zu machen. Als die ersten Baumärkte aufmachten, war ein Besuch dorthin für ihn wie ein Festtag. Ein Eldorado von dem er nur geträumt hatte, öffnete nun seine Tore für ihn. Hier konnte er sich stundenlang aufhalten und kam immer mit neuen Ideen nach Hause.
Trotz der finanziell bescheidenen Lage, war er zufrieden und wir Kinder genossen eine schöne Kindheit. Nach einem Arbeitsunfall, bei dem er sich den Rücken verletzt hatte, konnte er seinen Beruf als Fernfahrer nicht mehr ausüben. Das lange Sitzen hinterm Steuer ging nicht mehr. Lange war mein Vater krankgeschrieben und entdeckte sein neues Hobby, den Schrebergarten. Hier baute er alles für die Familie an, es gab Erdbeeren, Salat, Radieschen, Himbeeren, sogar Kartoffeln und Spargel und jede Menge Blumen. Von morgens bis abends verbrachte er seine Zeit dort und schaffte sich ein kleines Reich.
Als wir Kinder älter wurden, unsere Ausbildungen machten und zum Teil schon auszogen, war er weiterhin immer für uns da. Ich weiß gar nicht mehr wie oft er mir mit meinem alten VW-Käfer half, ihn abschleppte, Teile vom Schrottplatz einbaute oder die Reifen wechselte. In meiner Erinnerung an meinen verstorbenen Vater, war er ein Mensch der wenigen Worte, er handelte lieber. Er ruhte in sich, war ausgeglichen, freundlich, gern gesehen bei Freunden, Familie und Nachbarn. Mein Vater war sehr bescheiden, aber voller Ideen und sehr hilfsbereit. Alles schien in seiner Gewohnheit weiter zu laufen, bis er mit gerade einmal 55 Jahren die Diagnose Lungenkrebs bekam.
Wir alle waren geschockt! Von da an veränderte sich alles. Ich war kurz zuvor ausgezogen und bekam den Alltag zu Hause so nicht mehr mit. Doch bei meinen Besuchen wurde es mir wieder vor Augen geführt. Ihm, meinem lieben Daddy, zwei Jahre beim Sterben zusehen zu müssen, ohne groß helfen zu können, brachte uns alle fünf oft an unsere Grenzen. Trotz des ganzen Leids, das er durchleben musste, die Schmerzen nach der Lungenoperation, die endlosen Therapien und Krankenhausaufenthalte, all das ließen ihn nicht brechen. ER war derjenige, der UNS sogar tröstete, wenn die Traurigkeit und Hilflosigkeit einen übermannte. Ich verlor ihn mit Anfang 20.
Erinnerungen an meinen verstorbenen Vater
Es dauerte fast 30 Jahre, bis ich aus den Kleidungsstücken meines Vaters, die meine Mutter über all die Jahre immer noch aufgehoben hatte, ein Erinnerungskissen für sie nähte. Immer wenn ich bei ihr zu Besuch bin, sehe ich ihn vor mir im Sessel sitzen in dem gestreiften Hemd und dem Wollpullunder.
Das sind die Erinnerungen an meinen verstorbenen Vater, die immer wieder wach werden, wenn ich das Kissen auf der Couch sehe. Es hat einen Ehrenplatz. Es ist, als ob mein Vater noch ein Stückchen bei uns wäre. Diese Kleidungsstücke, aus denen ich das Erinnerungskissen genäht habe, hat er damals oft und gerne getragen. Egal wer von uns Kindern bei den Besuchen unserer Mutter dieses Kissen entdeckt, erinnert sich automatisch an unseren Vater. Dieses Gefühl ist bei meiner Mutter noch viel stärker. So ist Daddy, auch wenn wir es uns nicht ständig bewusst machen, einfach weiter in unserer Mitte. Wirklich erstaunlich diese Wirkung.
Meine Mutter erzählte mir einmal: Jeden Abend, bevor sie zu Bett ginge, würde sie liebevoll über das Kissen streichen und ihm eine gute Nacht wünschen, das gäbe ihr ein wunderbares Gefühl.
Mich macht es auch ein bisschen glücklich, das zu hören.
In diesem Sinne, denkt daran:
Ein Teil von dir, bleibt bei mir.